Freitag, 12. Februar 2016

Achtung: Hochspannung


Als Geographielehrerin ist man nicht nur Geographin, sondern auch Lehrerin. Man lebt nicht nur für die Geographie, sondern auf für das Lehren. Wissensvermittlung als Herzensangelegenheit.  Andere für das begeistern, das einen selbst begeistert. Helfen, Wissenslücken zu schließen. Zum Nachdenken animieren. Zum Problemlösen auffordern.
Soweit mein Idealismus.

Die Realität?
Meistens sieht sie anders aus. Weniger bunt. Weniger rosa. Weniger ideal. Es geht weniger um Problemlöser oder Selberdenker oder Begeisterte.
Klassenregeln stehen auf der Tagesordnung. Die Einhaltung der Klassenregeln. Man wird konfrontiert mit der Pubertät in all‘ ihren farbenfrohen oder auch tiefschwarzen Facetten: Respektlosigkeit, Despression, Streit zwischen Freunden, Streit zwischen Feinden, die erste Liebe, der erste Liebeskummer, Essstörungen, der bändige Drang, jeden und alles über alles und jeden in Kenntnis zu setzen (während des Unterrichts, das ist ein unausgesprochener Schüler-Ehrenkodex), mangelhafte Körperhygiene, intensiv ausgelebter Körperkult, siebähnliche Gedächtnisse ... Eine schier unendliche Liste.
Mein Lehrer-Geduldsfaden ist lang. Und strapazierfähig. Doch es gibt Wochen, Tage oder Stunden, in denen wird er bis zur Hochspannung gedehnt. Die einzelnen Fasern drohen zu reißen. Hier und da bilden sich die ersten feinen, mikroskopisch kleinen Haarrisse. Manchmal sind sie auch nur zu erahnen. Es brodelt. Lächeln und nette Worte nur noch als Maske. Man spielt, Theater um nicht zu explodieren.
Ein angespannter, gerade eben angerissener Geduldsfaden beruhigt sich nur schwer wieder. Er erschwert es, auch nach „Feierabend“ (Lehrerfeierabend, das ist wieder ein ganz neues Thema) zur Ruhe zu kommen, Abstand zu gewinnen und Kraft zu tanken. Ich schleppe meinen Geduldsfaden dann zentnerschwer mit mir herum. Er nagt an mir, belastet mich. Kopf freibekommen? Nahezu unmöglich. Permanentes Brodeln unter der Oberfläche, jederzeit steht ein Ausbruch kurz bevor.

Im Kopf fechte ich in diesen Situationen Kämpfe aus. Realität und Idealismus ziehen dann gegeneinander in den Krieg. Das Lehrerherz kämpft Seite an Seite mit meinem Idealismus. Und es gewinnt. Immer und immer wieder. Schlägt die Realität in die Flucht.

Herzensangelegenheit bleibt eben immer doch Herzensangelegenheit

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